"Im Rückblick auf die letzten 25 Jahre war meine Entscheidung für die eigene Hausarztpraxis eine der besten."

Liebe Leserinnen und Leser,

als Zeitungsleserin, gern auch in der Papiervariante, verfolge ich natürlich die Gesundheitsnachrichten. Vor kurzem titelte die Sächsische Zeitung groß: „So viele Behandlungsfehler von Ärzten werden in Sachsen angezeigt“. Erst bei genauem Lesen wurde deutlich, dass es sich um 306 vermutete Fehler handelte. Die Anzahl der tatsächlich bestätigten Behandlungsfehler lag am Ende bei 41.

Die größte Aufmerksamkeit erreichen wir offenbar mit Polarisierung und Zuspitzung: Die Gesundheitspolitik unseres Landes ist hier sehr ergiebig, auch, was wichtige Fragestellungen aus der Praxis betrifft. Und manchmal bekommen wir durchaus schlechte Laune beim Lesen. Deshalb bleibe ich zuweilen an den eher einfachen Geschichten hängen, die „nur“ unterhalten. Vielleicht gelingt es mir, so eine Gute-Laune-Geschichte für Sie aufzuschreiben.

Vor wenigen Wochen konnte ich auf 25 Jahre Hausarztpraxis zurückblicken. Die Zeit ist unheimlich schnell vergangen. Es gab keine große Feier, doch vielfach gemeinsames Zurückblicken mit Kolleginnen und Mitarbeiterinnen. Wir haben so viel miteinander erlebt in den Jahren … Ich bin sehr dankbar für die gemeinsame Zeit. Die meisten der Schwestern und MFA arbeiten schon über 20 Jahre mit mir zusammen, einige werden bald in den Ruhestand gehen. Andere waren einige Jahre dabei und ehemalige angestellte Kolleginnen und Kollegen haben inzwischen ihre eigenen Praxen eröffnet. Ich war und bin gern Chefin, gebe gern Wissen und Erfahrung weiter.

Eine hausärztliche Praxis ohne Teamarbeit, ohne Vertrauen und gegenseitige Unterstützung im Team ist für mich undenkbar.

Die Zusammenarbeit mit den Krankenschwestern, MFA, Arzthelferinnen, Diabetesberaterinnen und Praxismanagerinnen habe ich immer als Bereicherung erlebt. Wir konnten gegenseitig von unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen profitieren.

Ich hatte immer Vorbilder – auch was die Arbeit am Wochenende und feiertags betrifft (ich schreibe diesen Text am 1. Mai, dem Tag der Arbeit). Zwar hatte bisher keiner in meiner Familie Medizin studiert, dafür waren alle im eigenen Unternehmen selbstständig tätig: Die einen Urgroßeltern waren Gastwirte, die andere Urgroßmutter betrieb einen Gemüsestand in der alten Dresdner Markthalle – und hatte nebenbei sechs Kinder zu versorgen. Diese Geschichten kenne ich nur vom Erzählen, aber ich war sehr beeindruckt. Mein anderer Urgroßvater väterlicherseits gründete Ende des 19. Jahrhunderts eine eigene Lichtpauserei, die später mein Großvater und zuletzt bis 1998 mein Vater führte, über mehr als 100 Jahre hatte das Familienunternehmen Bestand. Auch meine Großmutter hat bis in ihre 70er Jahre gearbeitet. Die politischen Systeme änderten sich, Weltwirtschaftskrise, zwei Weltkriege, der DDR-Sozialismus. Die Rahmenbedingungen konnten unterschiedlicher nicht sein. Während der DDR-Zeit selbstständig zu sein, war eine besondere Herausforderung. Ich erinnere mich an Schulferien als Kind, als ich im elterlichen Geschäft helfen durfte und morgens mit zur Arbeit fuhr. Den arbeitsfreien Samstag gab es damals noch nicht.

Was uns über die Generationen verbindet, uns gemeinsam ist und was ich von Kindheit an fast nebenbei gelernt und erfahren habe: das unternehmerische Denken und Tun, Verantwortung zu übernehmen, zuständig zu sein, Entscheidungen zu treffen, mit deren Folgen zu leben. Wir sind selbst verantwortlich für unsere Entscheidungen und für unser Tun, müssen die Chancen suchen und nutzen. Ich bin mir sicher, einfacher als heute war das damals nicht.

Vorbilder hatte ich immer auch unter ärztlichen Kollegen: Besonders in den Anfangsjahren habe ich genau hingesehen, was die anderen so machen und vor allem zugehört, mir manches abgesehen. Ich konnte Fragen stellen und bekam Antworten und Unterstützung. Sicher, allerhand Lehrgeld bezahlt habe ich auch – vermeidbare und unvermeidbare Regresse, unglückliche unternehmerische Entscheidungen kosteten Zeit, Geld und Nerven. Doch letztlich ist das Unternehmen Hausarztpraxis, diabetologische Schwerpunktpraxis und Studienzentrum erfolgreich und verkraftete auch Rückschläge, wie z. B. das Hochwasser 2002 und die Coronazeit.

Ob ich inzwischen selbst Vorbild sein kann und junge Kollegen zum Schritt in die Selbstständigkeit ermutigen und begleiten? Ich finde Weiterbildung immer wieder spannend, gegenseitig bereichernd für alle Beteiligten. Das frische neue Fachwissen, die Leichtigkeit im Umgang mit neuen Medien, die Energie und der Elan der jungen Kollegen verbinden sich aufs Beste mit Erfahrungswissen und Gelassenheit der älteren Generation. Gemeinsam sind wir besser!

Vor wenigen Monaten hat ein junger Kollege den letzten Abschnitt seiner ärztlichen Weiterbildung in meiner Praxis begonnen. Er stammt aus einer Gastwirtsfamilie, das Arbeiten hat er da jedenfalls schon mal gelernt. Er erzählte mir, dass die Initialzündung für sein Medizinstudium von seiner Oma ausging, die selbst viele Jahre als Hausärztin tätig war. Nun ist er einer der ersten Absolventen des von der KV Sachsen mitfinanzierten Medizinstudienganges in Pécs. Den Tipp für das Studium in Ungarn erhielt er zudem von seiner Mutter. Das zeigt, wie wichtig familiäre Vorbilder und Ratgeber oft sind – und ich freue mich sehr, dass er seine Weiterbildung nun in meiner Praxis absolviert.

Im Rückblick auf die letzten 25 Jahre war meine Entscheidung für die eigene Hausarztpraxis eine der besten.

Ich hatte und habe noch immer Freude an der Arbeit mit Patienten und meinem Team – und an der berufspolitischen Arbeit. Wer, wenn nicht wir selbst, sollte sich um unsere Interessen als Berufsgruppe kümmern, die wichtigen Themen in die Hand nehmen? Nur so können wir etwas bewegen – wenn wir uns immer wieder einlassen, auf die großen Themen ebenso wie auf die (vermeintlich) kleinen Themen, die uns täglich begegnen.

Der Wert der ärztlichen Selbstverwaltung ist bei aller Problematik nicht hoch genug einzuschätzen. Die KV Sachsen als Körperschaft des öffentlichen Rechts hat einerseits hoheitliche Aufgaben, ist andererseits unsere Interessenvertretung. Und sie sorgt dafür, dass jedes Quartal das Honorar auf dem Konto ist, während wir unsere Energie auf die ärztliche Arbeit konzentrieren dürfen. Unerwartete Zahlungsausfälle, die für viele Freiberufler und Selbstständige an der Tagesordnung sind, bedrohen uns nicht. Über „Auftragsmangel“ können wir ohnehin nicht klagen. Und in vielen Fragen der täglichen Arbeit finden wir Unterstützung in der KV. Ich finde, auch das muss mal gesagt werden!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Leserinnen und Leser,

ich habe jetzt einen ziemlich weiten Bogen in meiner Geschichte gespannt, die ernsten Themen der Gesundheitspolitik auf Bundesebene und Berufspolitik komplett ausgespart. Ich höre schon die kritischen Stimmen. Aber vielleicht ist das gar nicht so schlecht, denn all diese Themen kennen Sie, denen können wir uns nur schwer entziehen. Vielleicht fängt eine Gute-Laune-Geschichte damit an, sich den guten Erlebnissen und Erinnerungen mit Dankbarkeit zuzuwenden und daraus auch die Energie und Motivation für die Bewältigung schwieriger Alltagsthemen zu gewinnen!

In diesem Sinne grüße ich Sie herzlich, bewahren Sie sich die Freude bei der ärztlichen Arbeit und kramen Sie mal in den eigenen Gute-Laune-Geschichten!

Ihre
 
Christine Kosch